Ork Nr. 37: Zwei Lieder für Dieter

Ork_37SZ Nr. 204, 5./6.9.15, S. 23

Dieter Hallervorden erweist sich nicht nur auf seine alten Tage als Vollblutschauspieler, sondern war in jüngeren Jahren auch ein großer Kabarettist und eignet sich somit auch für den Hobbysatiriker zum Anhimmeln. Einer von denen widmet ihm zu seinem 80. Geburtstag jetzt zwei Lieder ohne Noten, aber es gibt ja auch Lieder ohne Worte.

Das erste Lied stammt gar nicht aus der Hand des Verehrers, sondern findet sich eingeklemmt zwischen drei Todesanzeigen und besteht aus den dazwischen passenden kurzen Versen. Es ist, wiewohl in schwungvollen Lettern gedruckt, ein eher gedankenschwerer, der Trauerarbeit förderlicher Text über Zeit und Leid und Ewigkeit, und die in ihrer Schlichtheit ergreifendsten Stellen, wahre purple patches, wollen wir uns nun aufrichtigen Sinnes zu Gemüte führen:

„Von Freud und Leid
Erfüllt war die Zeit,
Das Leid war viel mehr,
Das Glück nicht so sehr.

Von weit kamst du her
Aus göttlichem Sein
Dorthin kehrst Du heim
Wenn die Zeit auch verflücht
mit dem strahlenden Licht.

Das alles umfacht,
den Tag und die Nacht,
Das Glück und das Leid
in Ewigkeit.“

Der Dichter, in diesem Fall eine späte Schülerin der „schlesischen Nachtigall“ Friederike Kempner, ist schon immer ein Sprachschöpfer gewesen, wie uns die beiden einprägsamen Wortgestalten „verflücht“ und „umfacht“ vor Augen führen. Wie andachtsvoll blicken wir Lesende doch hernieder auf solch ergreifende Zeilen, die uns die Süddeutsche aus ihrem poetischen Hausschatz darreicht; und still im Aug‘ erglänzt die Träne.

Wer sich nach dem Genusse des ersten Liedes zu hoch in den pinkvioletten Abendhimmel glockenreiner Abschiedspoesie entrückt fühlt, kann sich durch das zweite, gleich einem Ballonfahrer, wieder auf den Boden banaler Alltäglichkeit zurückholen lassen. Es ist so kurz wie kindisch und hangelt sich mühsam von einem Reim zum nächsten. Und doch möchte auch es sich als des zu Ehrenden würdig erweisen. Es erzählt nämlich von einer echten menschlichen Gefühlsregung: dem Überdruss an der gewohnten Umgebung und dem daraus erblühenden Fernweh.

Kleine Fluchten

Der Graf von Andechs und Meranien
Goss vor dem Fenster die Geranien,
Briet sich ein paar Esskastanien,
Schrieb an Wilhelm an Oranien:
Wenn ick Dir anruf, musste ranjehn!
Daaf ick ma‘ in Dein Haus in Spanien?
Hier ha‘ ick jenuch von all dem tranijen
Räucheraal aus Pomeranien:
Lo que quiero es Flamenco!

Und schon trägt die azurblaue Wolke der Sehnsucht unseren Grafen in ein rappelvolles, verqualmtes Kellerlokal, die Luft schwirrend von Gitarren-und Kastagnettenklängen, zu Füßen der rassigsten und schwarzhaarigsten Tänzerin ganz Andalusiens, und mit ihm entschwebt der momentan völlig abgespacete

Orks-Otto

P.S. Kommste ooch mit, Dieta?