Archiv für den Monat: September 2015

Ork Nr. 40: Neues aus der Anstalt

SZ Nr. 37, 14. /15. 2. 15, S. 53; Nr. 192, 22./ 23. 8. 15, S. 6, 8

ork_40Ja, es stimmt: SZ – Lesern eröffnen sich immer wieder neue, bisher ungeahnte Einblicke in die komplexe Realität unserer Welt von heute. Zur Veranschaulichung haben wir diesmal drei bedeutsame Entdeckungen ausgewählt, die erfahrene Mitarbeiter dieser großen Zeitung für Sie in Worte gefasst haben.

Austritt frei für reuige Sünder

„Nach traditioneller theologischer Vorstellung ist ein Austritt ein schwerer Verstoß gegen die katholische Glaubensgemeinschaft, den die Kirche dem reuigen Heimkehrer gewährt.“
Dass die Römisch-Katholische Kirche mit Sündern zu tun hat, ist weithin bekannt; dass sie ihnen aber „offiziös“, also halbamtlich, „schwere Verstöße gewährt“, mochte in früheren Zeiten, besonders an Fürstenhöfen, ab und an vorgekommen sein. Aber dass sie in unseren Tagen dem reuigen Heimkehrer gleichsam als Willkommensgruß den sofortigen Wiederaustritt anbietet, das ist ein Satz, den man auch als anspruchsvoller SZ – Leser ruhig ein zweites Mal lesen darf, um ihn in seiner vollen semantisch-ekklesiologisch-pastoralpsychologischen Tragweite zu erfassen. Nur Internetbroker an den internationalen Finanzplätzen sehen da sofort einen kleinen, aber nicht reizlosen Nischenmarkt entstehen, denn sie haben die passenden Programme, die in Millisekunden kaufen und verkaufen, längst auf ihrem Rechner. Und mit denen spielen sie jedes Kirchensteueramt schwindlig.
Die beiden folgenden Enthüllungen sind vergleichsweise einfach zu verstehen, haben aber gleichwohl ihren Sitz im Leben, speziell für heiratswillige Damen.

Wohl bekomm’s!

„Wer hier Claims abstecken möchte, um sich zum Beispiel Öl oder Gas einzuverleiben, muss schon etwas völkerrechtliche Kreativität aufbieten.“
Wer immer eine ölbasierte Turbodiät an sich ausprobieren will – bitteschön. Aber Gas braucht sich niemand einzuverleiben, sein Darm produziert es ganz von selber. Im Bedarfsfall können Sauerkraut und andere Kohlprodukte mit gutem Erfolg als Booster eingesetzt werden.

Reiner Männerverein

„Am Montag trifft sie [Manuela Schwesig] Hannelore Kraft, die erste Frau in Nordrhein-Westfalen.“
Auch wenn mit Frau Kraft ein erster Anfang gemacht ist  – das bevölkerungsreichste Bundesland braucht dringend weitere Frauen. Von ernsthaften Westfalen und erst recht von leichtlebigen Rheinländern würden sie mit offenen Armen empfangen!

Dergestalt lehren kompetente Journalisten ihre Leser, die Welt immer wieder mit neuen Augen zu sehen und dabei jederzeit für überraschende Informationen offen zu sein. Ach, gäbe es doch mehr solcher umfassender Aufklärung verpflichteter Anstalten, seufzt

Orks-Otto

Ork Nr. 39: I aa a U

SZ Nr. 13, 17. /18. 1. 15, S. 9, 72; Nr. !9, 24. / 25. 1. 15, S. 12, 77; Nr. 43, 21. /22. 2. 15, S.38; Nr. 125, 3. /4. 6. 15, S. 10; Nr. 133, 13./ 14. 6. 15, S. 80; Nr. 146, 29. 6. 15, S. 27, 30; Nr. 152, 6. 7. 15, S. 6; Nr. 163, 18./ 19. 7. 15, S. 9; Nr. 169, 25./ 26. 7. 15, S. 53; Nr. 192, 22./ 23. 8. 15, S. 18 ork39_1

Die vier Vokale der Überschrift können einen durchaus sinnvollen Satz ergeben. Dann nämlich, wenn man im Schankraum der Brauerei Mahr in Bamberg sitzt und hört, wie einer a U ‚ein Ungespundetes‘ bestellt, und ein anderer sich der Einfachheit halber gleich anschließt, mit den bewussten vier Lauten. Der Franke als solcher, besonders wenn es gilt, mit wenig Aufwand an ein gutes Bier zu kommen, ist halt erfinderisch.
Der Mittelfranke freilich, nicht weniger maulfaul als sein die Gestade von Main und Regnitz bewohnender Bruderstamm, hält es zwecks Redeersparnis eher mit einem gewissen Konsonanten: Fll Ll ’n Zwlwl (rustikale Variante) bedeutet für ihn ‚Viel Öl und Zwiebeln‘.
Letztere Artikulationsweise ist mittlerweile von den US- Gesundheitsbehörden als behandlungsbedürftig anerkannt und mit dem Namen Endemic Linguodental Disorder Syndrome, kurz ELDS, belegt worden. Leider ist der potentielle Absatzmarkt für ein lebenslang einzunehmendes Gegenmittel (Apicoretractivum) für die forschenden Pharmakonzerne etwas zu begrenzt, um hier einzusteigen, und so bleibt es auch für die Franken vorläufig beim Konsumangebot von Ritalin und demnächst, für die Damen, von Flibanserin. Schee bleed. Einstweilen können Sie, liebe Leser, sich ein faszinierendes Hörerlebnis verschaffen, wenn Sie mittels einer kleinen Alkoholspende einen angeheiterten Gostenhofer Rentner zur Rezitation des Sprüchleins „A Dellerler Bläddsler un a Gläsler Walbollidschella“ verleiten.
Da staunt der Bayer und der Preuße wundert sich, wie die Süddeutsche so treffend bemerkt.

Auch die ewig unter Zeitdruck fronenden SZ – Mitarbeiter, die zudem oft schneller formulieren als sie schreiben können, hudeln gerne mal über einzelne Buchstaben, Silben, ja ganze Wörter hinweg. Der flüchtige Leser wird schon drüber weglesen oder, falls er es doch bemerkt, soll er es selber richten. Das ist ja auch das Grundgesetz aller sogenannten Rechtschreibreformen dieses Jahrhunderts, unter das man sich bei der SZ allezeit willig beugt.
Aber noch leben Avatare von Lynkeus und Argus, den beiden luchsäugigen Kämpfern der Alten, und wenn einer von ihnen und ein echter Luchs sich draußen in der Wildnis begegnen, zwinkern sie einander mit dem linken Auge zu. Es soll ja auch zeitweilige Allianzen zwischen Fußballtrainern und Werwölfen geben. Dabei kann so ein Avatar sogar Brillenträger sein, zum Beispiel wenn er seine stechenden Pupillen auf eine von Deutschlands führenden Tageszeitungen fokussiert.
Wegen der Fülle der Beispiele soll hier nur jeder Beleg knapp und kommentarlos zitiert werden:
„Hier kann er nicht nur jenen Beistand leisten, die ihn am meisten ersehen.“
„Auf dem deutschen Mark wacht das Kraftfahrt-Bundesamt über Rückrufaktionen.“
„Das gesellschaftliche Bewusstsein ist gestiegen, den Kindern wird früher gelaubt“
„nicht nur ein „Meister in der Kunst des Charakerisierens“ (Lothar Müller in der SZ)“
Wolfsburg toute chancenlos durch die Königsklasse.“
„Wir brauchen genügen Soldaten, das richtige Training und die richtige Ausrüstung“
„Niemand geht hier freiwillig entlang, zudröhnt vom endlosen Strom der Autos.“
„“Die Leute haben uns die Quadrate tütenweise gebracht“, sagte laut Medienberichten.“
„Er gewann am in Ratingen“
„Der Anwalt von Erhan A. argumentierte damals, es nicht „schlüssig“, warum Erhan A. abgeschoben wurde“.
„Die weiße Bootshülle blendet, die Viking Cruise liegt schon lange da, und wird auch noch eine angetäut bleiben, bis sie wieder flott ist.“
„Ökolabels, Biomessen und Ressourcen schonende Technologien sind längsten vogue.“
Und die letzte Belegstelle nimmt sich der Jäger und Sammler selbst zu Herzen:
„Herr lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss“ im Deutschen Requiem vor Johannes Brahms“.

Erschöpf, abe fröhich rüßend
Orks-Otto

Ork Nr. 38: Politische Geografie

SZ Nr. 192, 22. /23. 8. 15, S. 69; Nr. 204, 5. /6. 9. 15, S. 7

scheissnavi_orkUnser Mann in Havanna

„Schreibt der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt, ein CDU – Mann, in einem offenen Brief.“

Was wird der Geist von FJS, ausgerechnet zu dessen einhundertstem Geburtstag, zu diesem mainfränkischen Brückenkopf der ebenso hassgeliebten wie beargwöhnten Schwesterpartei sagen? Er wird wohl toben und als altphilologisch gebildeter Jupiter Tonans rhetorische Blitze auf seine kampfscheuen Nachfolger schleudern. Näheres erfahren wir vielleicht im nächsten Schleich – Fernsehen beim Auftritt des Übervaters.

Im Westen nichts Neues?

„Voller Bewunderung blicken die Franzosen nach Westen: Dass die Deutschen dieses Jahr prognostizierte 800.000 Flüchtlinge begrüßen – das beeindruckt die Franzosen.“

Wie das? Erleben jetzt die Franzosen die deutsche Aufnahmebereitschaft als derart hallucinante, dass sie ihre teutonischen Nachbarn gleich einer Fata Morgana draußen auf dem Atlantik wähnen? Erkennen nicht schon manche Gallierinnen und Gallier in den Strahlen der Sonne das Lächeln Angela Merkels und im Vollmond die grimmigen Züge Wolfgang Schäubles? Aber vielleicht hat sich Christian Wernicke nur wieder mal auf sein Scheiß Navi verlassen, statt in seinen alten Schulatlas zu gucken.
So kann der SZ-Leser, auch wenn ihn manchmal leise Zweifel beschleichen mögen, aus erster Hand mitverfolgen, wie die politische Landkarte Bayerns und Europas mit kraftvollen Strichen neu gezeichnet wird. Da kann Guido Knopp mit seiner ollen ZDF-History doch glatt einpacken, findet

Orks-Otto

Ork Nr. 37: Zwei Lieder für Dieter

Ork_37SZ Nr. 204, 5./6.9.15, S. 23

Dieter Hallervorden erweist sich nicht nur auf seine alten Tage als Vollblutschauspieler, sondern war in jüngeren Jahren auch ein großer Kabarettist und eignet sich somit auch für den Hobbysatiriker zum Anhimmeln. Einer von denen widmet ihm zu seinem 80. Geburtstag jetzt zwei Lieder ohne Noten, aber es gibt ja auch Lieder ohne Worte.

Das erste Lied stammt gar nicht aus der Hand des Verehrers, sondern findet sich eingeklemmt zwischen drei Todesanzeigen und besteht aus den dazwischen passenden kurzen Versen. Es ist, wiewohl in schwungvollen Lettern gedruckt, ein eher gedankenschwerer, der Trauerarbeit förderlicher Text über Zeit und Leid und Ewigkeit, und die in ihrer Schlichtheit ergreifendsten Stellen, wahre purple patches, wollen wir uns nun aufrichtigen Sinnes zu Gemüte führen:

„Von Freud und Leid
Erfüllt war die Zeit,
Das Leid war viel mehr,
Das Glück nicht so sehr.

Von weit kamst du her
Aus göttlichem Sein
Dorthin kehrst Du heim
Wenn die Zeit auch verflücht
mit dem strahlenden Licht.

Das alles umfacht,
den Tag und die Nacht,
Das Glück und das Leid
in Ewigkeit.“

Der Dichter, in diesem Fall eine späte Schülerin der „schlesischen Nachtigall“ Friederike Kempner, ist schon immer ein Sprachschöpfer gewesen, wie uns die beiden einprägsamen Wortgestalten „verflücht“ und „umfacht“ vor Augen führen. Wie andachtsvoll blicken wir Lesende doch hernieder auf solch ergreifende Zeilen, die uns die Süddeutsche aus ihrem poetischen Hausschatz darreicht; und still im Aug‘ erglänzt die Träne.

Wer sich nach dem Genusse des ersten Liedes zu hoch in den pinkvioletten Abendhimmel glockenreiner Abschiedspoesie entrückt fühlt, kann sich durch das zweite, gleich einem Ballonfahrer, wieder auf den Boden banaler Alltäglichkeit zurückholen lassen. Es ist so kurz wie kindisch und hangelt sich mühsam von einem Reim zum nächsten. Und doch möchte auch es sich als des zu Ehrenden würdig erweisen. Es erzählt nämlich von einer echten menschlichen Gefühlsregung: dem Überdruss an der gewohnten Umgebung und dem daraus erblühenden Fernweh.

Kleine Fluchten

Der Graf von Andechs und Meranien
Goss vor dem Fenster die Geranien,
Briet sich ein paar Esskastanien,
Schrieb an Wilhelm an Oranien:
Wenn ick Dir anruf, musste ranjehn!
Daaf ick ma‘ in Dein Haus in Spanien?
Hier ha‘ ick jenuch von all dem tranijen
Räucheraal aus Pomeranien:
Lo que quiero es Flamenco!

Und schon trägt die azurblaue Wolke der Sehnsucht unseren Grafen in ein rappelvolles, verqualmtes Kellerlokal, die Luft schwirrend von Gitarren-und Kastagnettenklängen, zu Füßen der rassigsten und schwarzhaarigsten Tänzerin ganz Andalusiens, und mit ihm entschwebt der momentan völlig abgespacete

Orks-Otto

P.S. Kommste ooch mit, Dieta?