Ork Nr. 49: Diagnose Konjunktivitis

SZ Nr. 37, 14./ 15.2.15, S. 50; Nr. 43, 21./22.2.15, S.68; Nr. 49, 28.2./1.3.15, S.1; Nr. 144, 26.6.15, „SZ-Shop“ork49

Es gibt Tage, da reichen zwei Mittelfinger nicht aus, um seinen Hass auf die Widrigkeiten des Lebens auszudrücken. Reinhold Mey behauptete von sich „Es gibt Tage, da wünscht‘ ich, ich wär mein Hund“, und davor trällerten die Comedian Harmonists „Ich wollt‘, ich wär ein Huhn“. Und es gibt Dienstagabende, da flötet die schönäugige Frau Stockl von der Rosenheimer Kripo ins Telefon „Es gabert a Leich“.

Sie merken schon, es geht diesmal um den Konjunktiv. Das Deutsche besitzt zwei Sorten davon. Die von den Grammatikern als Nr. I bezeichnete Sorte wird fast nur für die Wiedergabe von Aussagen verwendet, für die man sich nicht verbürgen will:
Der Minister erklärt/ e, er wisse wie immer von nichts / er habe von nichts gewusst. Das Biotop (richtiger wäre Glossotop) des Konjunktivs I ist die formelle, meist geschriebene Sprache. Im spontanen Alltagsdiskurs gebrauchen ihn nur die Schwaben und Alemannen, und von denen haben ihn sogar die Bündner Rätoromanen in ihr exklusives Idiom übernommen

Der starke Herrscher im Reich der Möglich- und Unmöglichkeiten ist auf allen Ebenen der Sprache der Konjunktiv II:
„Wenn i, hätt‘ i, sollt‘ i sin die drei greßten Doldi“, warnen alte Nürnberger und -innen alle, die sich immer nur mit tausend Bedenken ein Stück weit und am liebsten erst nachträglich zum Handeln bemüßigt fühlen, aber sich nicht wirklich aufraffen wollen. Den Europäer freut es, dass unsere italienischen Nachbarn ein fast wortgleiches Sprichwort besitzen: vielleicht haben es einst venezianische Kaufleute aus Norimberga mit nach Hause gebracht: Se avessi, se potessi, se facessi sono tre fessi, auf deutsch ‚Hätt‘ ich, könnt‘ ich, täte ich sind drei Trottel‘, wobei in fesso das hübsche Bild von der Gesäßspalte alias Maurer-Dekolleté steckt.

Die mit allen Wassern gewaschenen SZ-Autoren bewegen sich im Allgemeinen recht graziös auf dem glatten Parkett der Modalsyntax, aber dann und wann rutscht doch einer aus, und der böse Orksjäger schaut grinsend zu und greift dann zur Flinte bzw. Schere. Ein besonderer Leckerbissen ist es für ihn, wenn gleich ihrer Fünfe plus eine Dame im Kollektiv ausrutschen, ein faux pas de six im Ballettsaal der Grammatik. Ahnen Sie was? Es ist das zu Recht so beliebte Streiflicht:

„Wenn Varoufakis damit singend herumbraust, als gebe es kein Morgen und keine Sorgen“.

Vielleicht saß ja den Sechsen das berühmte Rilke-Gedicht vom eingesperrten Panther noch im Hinterkopf:
„Ihm ist, als ob es tausend Stebe gebe“.

Zwei andere praktizieren eine feige Vermeidungstaktik: Finger weg vom Konjunktiv!

„als ob eine Sechs in Orthografie auch schon wieder ein paar Jahre jünger macht.“

„Als ob der Sommer in diesem Bild eingefangen wurde, erstrahlt die Mohnblumenwiese im Sonnenlicht.“

Wie zum Ausgleich wirft sich ein anderer Kollege in die Bresche, wo keine ist:

„wie das Volk früher bei öffentlichen Hinrichtungen sensationsgeil gaffe oder heute sogar filme“.

Wir goutieren hier die angenehm offiziös-vertrauenswürdige Anmutung dieses Konjunktivs: Was die Petrolnote beim Riesling, ist der K I beim Schreiberling.

Da muss er sich doch gleich ein Gläschen genehmigen, auch wenn es bloß Malvasia Nera aus Apulien ist.
Es hebt das Glas auf Ihr Wohl

Orks – Otto

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